Die spanische Dogmatik der VerfassungstreueGeschichte einer fehlgeschalagenen Rezeption des deutschen Verfassungsdenkens
ISSN: 0044-2348
Año de publicación: 2010
Volumen: 70
Número: 3
Páginas: 433-458
Tipo: Artículo
Otras publicaciones en: Zeitschrift für ausländisches öfentliches Recht und Völkerrecht, ZAORV = Heidelberg Journal of International Law, HJIL
Resumen
Die Verfassungstreue wird in Rechtsprechung und Lehre üblicherweise auf ein materielles Verfassungs- und Demokratieverständnis zurückgeführt, das seinerseits aber die Existenz verfassungsrechtlicher Ewigkeitsklauseln voraussetzt. Der vorliegende Artikel zeigt wie der Begriff der Verfassung- treue auch auf der Grundlage gegenseitiger methodischer Annahmen, d.h. auf einem formellen Verfassungs- und Demokratieverständnis aufgebaut werden kann. Diese formelle Herangehensweise entspricht dem Text der spanischen Verfassung von 1978 besser, da diese Verfassung von einem formellen Begriff der Demokratie und der Verfassung ausgeht. Der Artikel ziegt konkrete verfassungsrechtliche Probleme anhand derer diese formelle Auffassung angewandt werden kann. Er stellt fest, dass ausländische rechtsdogmatische (in unserem Fall deutsche) Lösungen vor ihrer Rezeption immer auf ihre Vereinbarkeit mit dem Verfassungstext am Orte gründlich kontrolliert werden sollten. DreiBig Jahre nach Inkrafttreten der Verfassung versucht der spanische Staat noch immer dieselben, bereits seit 1978 vorhandenen und sein Funktionieren gefährdenden Probleme zu lösen. Phänomene wie die Terrogruppe ETA, terrorismus freundliche politische Parteien oder der Versuch der Errichtung eines verfassungswidrigen und separatistischen Modells der territorialen Organisation verdeutlichen das Problem des Verfassungsschutzes und erfordern nach wie vor die Erarbeitung einer Lösung sowohl seitens der Rechtswissenschaft als auch der Verfassungsrechtsprechung. Zur Bewältigun dieser Herausforderungen wurde vor einiger Zeit, angelehnt an das deutsche Konzept, der Begriff der Verfassungstreue in den verfassungs- rechtlichen Diskurs eingeführt. Die Frage ist nun, ob die deutsche Kategorie der Verfassungstreue überhaupt mit den theoretischen Voraussetzungen der spanischen Verfassung kompatibel ist. Diesbezüglich bestehen zwei im Fogenden zu erörternde Zweifel: Zum einen betreffen sie das spanische Demokratieverständnis, zum anderen den in den Verfassungstext von 1978 übernommenen Verfassungsbegriff. Besonders hitzig entwickelte sich diese Debatte durch die Verabschiedung des "Gesetzes über die politischen Parteien" (Ley de partidos políticos) im Jahre 2002 sowie der Parteienverbote, die seit der Errichtung der Demokratie in Spanien erstmals im Jahre 2003 erlassen wurden. Dies wirft die Frage nach dem am ehesten mit der derzeitigen spanischen Verfassung zu vereinbarenden Verfassungsschutzmodell auf. Die Analyse der beschriebenen Fragestellungen ist Gegenstand dieser Arbeit.